Prozesskosten: Überraschende Rückwärtsrolle des Bundesfinanzhofs

Bei der steuerlichen Anerkennung von Kosten eines Zivilprozesses ist der Fiskus seit jeher äußerst knauserig: Solche Kosten wurden selten als „zwangsläufig“ angesehen und deshalb nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Denn Prozesskosten würden den Steuerzahler nur dann treffen, wenn er den Prozess verliert.

Lässt er es also auf eine Auseinandersetzung vor Gericht ankommen, nimmt er das Prozesskostenrisiko bewusst auf sich, weil er sich bei einem Obsiegen Vorteile verspricht. In diesem Fall entstünden die Kosten nicht zwangsläufig, sondern freiwillig. Dies gelte bei hinreichenden Erfolgsaussichten und ohne Rücksicht darauf, ob Sie Beklagter oder Kläger sind.

  • Der Bundesfinanzhof hatte im Mai 2011 die enge Sichtweise aufgegeben und die steuerliche Absetzbarkeit von Kosten eines Zivilprozesses deutlich ausgeweitet: Die rechtliche Zwangsläufigkeit von Prozesskosten ergebe sich aus dem staatlichen Gewaltmonopol und der daraus folgenden Notwendigkeit für den Bürger, streitige Ansprüche gerichtlich durchzusetzen oder abzuwehren. Zivilprozesskosten sollten unabhängig vom Gegenstand des Prozesses immer dann aus rechtlichen Gründen als zwangsläufig gelten und damit als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden, wenn die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. „Der Erfolg muss mindestens ebenso wahrscheinlich sein wie ein Misserfolg“ (BFH-Urteil vom 12.5.2011, VI R 42/10, BStBl. 2011 II S. 1015).
  • Die Finanzverwaltung lehnte es ab, dieses vorteilhafte BFH-Urteil allgemein anwenden. Denn die Finanzämter seien nicht in der Lage, die Erfolgsaussichten eines Zivilprozesses und die Motive der Beteiligten eindeutig, zuverlässig und rechtssicher einschätzen zu können (BMF-Schreiben vom 20.12.2011, BStBl. 2011 I S. 1286).
  • Der Gesetzgeber hat per Gesetz das bürgerfreundliche BFH-Urteil ausgehebelt und mit Wirkung ab 2013 den alten Rechtszustand wieder hergestellt. Jetzt sind Kosten eines Zivilprozesses – wie früher – nur im Ausnahmefall als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG – unter Anrechnung einer zumutbaren Belastung – absetzbar, „wenn der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können“ (§ 33 Abs. 2 Satz 4 EStG).

Aktuell hat der Bundesfinanzhof seine großzügige Rechtsauffassung wieder aufgegeben – auch für die Jahre vor 2013 – und hält an seinem steuerzahlerfreundlichen Urteil vom 12.5.2011 nicht länger fest.

Der 6. Senat kehrt zur früheren Verweigerungsrechtsprechung des 3. Senats zurück. Jetzt gilt wieder: Kosten eines Zivilprozesses sind grundsätzlich nur dann als zwangsläufig anzusehen, wenn auch das dem Prozess zugrunde liegende Ereignis für den Steuerbürger zwangsläufig ist.

Daran fehlt es im Allgemeinen bei einem Zivilprozess, sodass die Prozesskosten nicht als außergewöhnliche Belastungen absetzbar sind (BFH-Urteil vom 18.6.2015, VI R 17/14).

Berührt jedoch ein Rechtsstreit einen für den Steuerbürger existenziell wichtigen Bereich oder den Kernbereich menschlichen Lebens, kann jener unter Umständen in eine Zwangslage geraten, in der für ihn die Verfolgung seiner rechtlichen Interessen trotz unsicherer Erfolgsaussichten existenziell erforderlich ist. Ein solcher Ausnahmefall kann insbesondere dann in Betracht gezogen werden, wenn der Steuerbürger, ohne sich auf den Rechtsstreit einzulassen, Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren oder seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können.


 

Lohnsteuer kompakt: Der Bundesfinanzhof hat immer wieder betont, dass der enge Grundsatz, nach dem Prozesskosten steuerlich nicht anerkannt werden, keine starre Regel ist. „Die Vielfalt der prozessualen Gestaltungen erfordert vielmehr, den jeweiligen Streitgegenstand und die Ursache des Streits zu berücksichtigen. Wenn aufgrund der besonderen Gegebenheiten des Einzelfalles das Führen eines Prozesses zwangsläufig ist, kann eine Berücksichtigung der Kosten als außergewöhnliche Belastung in Betracht kommen.“ Diesen Grundsatz hat der BFH jetzt erneut bestätigt.

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