Eltern können Kindergeld bei seelisch behinderten Kindern auch nach dem 25. Lebensjahr erhalten – vorausgesetzt, die Behinderung bestand bereits vorher und verhindert die eigenständige Lebensführung. Der Bundesfinanzhof hat nun entschieden, dass ein psychologisches Gutachten ausreichen kann, um die Voraussetzungen für das Kindergeld nachzuweisen – ein ärztliches Gutachten ist nicht immer notwendig.
Gutachten eines Psychologen genügt bei seelischer Behinderung
Kindergeld wird über das 25. Lebensjahr hinaus gezahlt, wenn ein Kind aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Maßgeblich ist, dass die Behinderung vor dem 25. Geburtstag eingetreten ist. Doch was gilt, wenn die Behinderung seelischer Natur ist und kein ärztliches Gutachten vorliegt?
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit Urteil vom 16.01.2025 (Az. III R 9/23) entschieden, dass für den Nachweis einer seelischen Behinderung auch das Sachverständigengutachten eines Diplom-Psychologen bzw. eines psychologischen Psychotherapeuten ausreichen kann. Das Gutachten muss nicht zwingend von einem Arzt stammen – entscheidend ist die Sachkunde des Gutachters.
Hintergrund des Falls
Im zugrunde liegenden Fall litt die Tochter der Klägerin an mehreren schweren gesundheitlichen Problemen: Im Jahr 2015 wurde bei ihr ein Schilddrüsentumor festgestellt, 2016 folgte die Diagnose eines gutartigen Brusttumors. Im Zeitraum von Oktober 2016 bis Oktober 2017 erzielte sie nur geringfügige Einkünfte (maximal 450 Euro pro Monat) und konnte ihre Ausbildung nicht abschließen.
Das Versorgungsamt stellte erst ab September 2018 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 fest. Die Familienkasse verweigerte daraufhin das Kindergeld für die Zeit davor mit der Begründung, dass die Behinderung für diesen Zeitraum nicht ausreichend belegt sei.
Die Klägerin machte geltend, ihre Tochter habe infolge der Erkrankungen eine Depression entwickelt. Das Finanzgericht ließ daraufhin ein psychologisches Gutachten erstellen. Dieses bescheinigte eine mittelgradige depressive Episode bis Oktober 2017 – also innerhalb des maßgeblichen Zeitraums.
BFH: Psychotherapeuten-Gutachten ist bei seelischer Behinderung ausreichend
Die Familienkasse akzeptierte das Gutachten zunächst nicht – mit Verweis darauf, dass der Gutachter kein Arzt sei. Der BFH widersprach nun dieser Einschätzung. Entscheidend sei, dass es sich bei seelischen Behinderungen nicht ausschließlich um medizinische Fragen handelt. Vielmehr gehe es um funktionale Fähigkeiten wie Selbstvertrauen, Belastbarkeit, Antrieb und emotionale Stabilität.
Demnach könne ein qualifiziertes psychologisches Gutachten ausreichen, sofern es fundierte Feststellungen über die Einschränkungen der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben treffe. Die Kindergeldberechtigung gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG kann also auch auf der Grundlage eines psychologischen Sachverständigengutachtens festgestellt werden.
Was betroffene Eltern beachten sollten
Der Fall zeigt deutlich: Auch ohne ärztliches Gutachten können Eltern den Nachweis einer seelischen Behinderung erbringen – entscheidend ist die fachliche Qualität des Gutachtens. Dennoch sollten Eltern folgendes beachten:
- Frühzeitige Information der Familienkasse über eine mögliche Behinderung des Kindes.
- Rücksprache mit der Familienkasse, welche Unterlagen oder Gutachten akzeptiert werden.
- Nicht jedes familienkasseneigene Gutachten ist entscheidend – auch gerichtliche Einschätzungen können ausschlaggebend sein.
Übrigens: Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz sieht Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit in Einzelfällen nur als Parteigutachten an. Befundberichte behandelnder Ärzte oder Psychotherapeuten sind mindestens ebenso bedeutsam – sofern nachvollziehbar und schlüssig (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6.5.2020, Az. 2 K 1851/18).