Steuerzinsen: BFH hat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit!

Steuerzinsen: Endlich hat der BFH doch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit!
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Bei Steuernachforderungen, Steuerstundung, Steuerhinterziehung und Aussetzung der Vollziehung berechnet das Finanzamt einen Zinssatz von 6 Prozent pro Jahr, d.h. für jeden vollen Monat des Verzinsungszeitraumes 0,5 % des fälligen Steuerbetrages als Steuerzinsen. Dies ist so im Gesetz festgelegt (§ 238 AO).

  • Ein Zinssatz von 6 % p.a. ist heutzutage außerordentlich hoch, wo doch die Marktzinsen schon seit etlichen Jahren nahe Null und sogar im Negativbereich liegen. Im Vergleich dazu stellt der Zinssatz des Fiskus von 6 % aus dem Jahre 1961 heute ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung dar und erfüllt damit den Tatbestand des Wuchers (§ 138 BGB).
  • Der Bundesfinanzhof hatte im Juli 2014 entschieden, dass der gesetzliche Zinssatz von 6,0 % pro Jahr bis März 2011 (noch) nicht verfassungswidrig sei (BFH-Urteil vom 1.7.2014, IX R 31/13). Ebenfalls als verfassungsgemäß hat der BFH den Zinssatz beurteilt für die Zeit bis 5.12.2011 (BFH-Urteil vom 14.4.2015, IX R 5/14) und bis 19.1.2012 (BFH-Beschluss vom 21.10.2015, V B 36/15). Zuletzt hat der BFH im November 2017 entschieden, dass der Zinssatz von 6 Prozent p.a. auch im Jahre 2013 noch verfassungsgemäß ist. Nach unverständlicher Auffassung des 3. Senats verstößt dies weder gegen den allgemeinen Gleichheitssatz noch gegen das Übermaßverbot (BFH-Urteil vom 9.11.2017, III R 10/16).

Aktuell kann der Bundesfinanzhof sich nicht länger winden und vor einer realitätsgerechten Entscheidung „im Namen des Volkes“ drücken: Jetzt endlich – nach langer Zeit und einigen „irrealen“ Urteilen – hat der 9. Senat des Bundesfinanzhofs „schwerwiegende“ Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Nachzahlungszinsen geäußert – allerdings erst für Verzinsungszeiträume ab 2015! (BFH-Beschluss vom 25.4.2018, IX B 21/18).

Der Fall: Nach einer Außenprüfung wurde die Steuerfestsetzung geändert und eine Einkommensteuer von 1,9 Mio. Euro nachgefordert. Zusätzlich verlangte das Finanzamt für den Zeitraum vom 1. April 2015 bis 16. November 2017 Nachzahlungszinsen in Höhe von 240.831 Euro. Der Steuerzahler begehrte für den Zinsbescheid eine „Aussetzung der Vollziehung“, da die Höhe der Zinsen von 0,5 Prozent für jeden Monat verfassungswidrig sei.

Die BFH-Richter haben dem Antrag stattgegeben und die Vollziehung des Zinsbescheids in vollem Umfang ausgesetzt. Nach neuer Einsicht der Richter bestehen im Hinblick auf die Zinshöhe für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2015 schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel, ob die Zinshöhe mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist und ob er dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Übermaßverbot entspricht.

Die Richter sehen endlich ein, dass die Zinshöhe von 0,5 Prozent pro Monat bzw. 6 Prozent pro Jahr völlig realitätsfern ist. Denn das niedrige Marktzinsniveau sei keine vorübergehende Erscheinung mehr, sondern habe sich strukturell und nachhaltig verfestigt. Und deshalb sei der gesetzlich festgelegte Zinssatz von 6 Prozent pro Jahr vollkommen überhöht.

Die Richter des 9. Senats widersprechen des Kollegen des 3. Senats, dass das verfestigte Niedrigzinsniveau nicht dadurch widerlegt wird, indem bei Kreditkartenkrediten für private Haushalte Zinssätze von rund 14 Prozent oder bei Girokontenüberziehungen Zinssätze von rund 9 Prozent anfallen (so aber BFH-Urteil vom 9.11.2017, III R 10/16). Anmerkung: Es kann wohl nicht das Motto gelten: Solange der Staat nicht unverschämter ist als die unverschämtesten Geldverleiher, ist alles ok.

Die Richter betonen, dass Praktikabilität und Verwaltungsvereinfachung nicht mehr als Grund für die Beibehaltung des hohen Zinssatzes gelten. Denn in anderen Bereichen wird der Zinssatz realitätsgerechter beispielsweise mit zwei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB berechnet.

Die Richter gelangen zur Erkenntnis, dass es für die Höhe des Zinssatzes von 6 Prozent pro Jahr „überhaupt an einer nachvollziehbaren Begründung“ fehlt. Die bisherige Begründung, dass potentielle Liquiditäts- oder Zinsvorteile des Steuerzahlers abgeschöpft werden sollen, gelte nicht mehr. Denn es besteht keine Möglichkeit mehr, die zu zahlenden Zinsen durch Anlage der nicht gezahlten Steuerbeträge oder durch die Ersparnis von Aufwendungen auch tatsächlich zu erzielen.

Auch für den Fiskus ergibt sich kein Nachteil, weil eine kurzfristige „Fremdfinanzierung“ – in Gestalt einer Erhöhung der Neuverschuldung – für den Bund schon seit einigen Jahren praktisch zum Nulltarif zu haben ist. In gleicher Weise würde eine kurzfristige Anlage der geschuldeten Steuerbeträge für den Fiskus keinen Zinsertrag erbringen, der eine Zinshöhe von 0,5 Prozent für jeden Monat rechtfertigen könnte.

Die Richter stellen fest, dass die realitätsferne Bemessung der Zinshöhe wie ein rechtsgrundloser Zuschlag auf die Einkommensteuer wirkt. Die Belastung des Steuerzahlers werde noch dadurch verschärft, dass die frühere Begrenzung des Zinslaufs auf längstens vier Jahre für Steuerfestsetzungen ab 1994 aufgehoben wurde. In einem strukturell niedrigen Zinsumfeld wirkt der unbefristete Zinslauf für den Steuerzahler weiter verschärfend. Dessen Belastung werde umso größer, je später die Steuer festgesetzt wird. Eine teilweise Kompensation durch eine steuerliche Abzugsmöglichkeit der Nachzahlungszinsen gibt es nicht, denn Nachzahlungszinsen sind nicht steuerlich absetzbar.

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Falls das Finanzamt Ihnen auf Steuernachforderungen den hohen Zinssatz von 6 % p.a. berechnet, sollten Sie gegen den Steuerbescheid Einspruch einlegen, auf die Revisionsverfahren vor dem BFH hinweisen (I R 77/15, III R 10/16, III R 16/16, III R 25/17, IX B 21/18) und das Ruhenlassen beantragen. Wegen der Wucherzinsen ist ebenfalls eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht anhängig (1 BvR 2237/14). Im Übrigen sind Verfassungsbeschwerden wegen der unterschiedlichen Besteuerung von Erstattungs- und Nachforderungszinsen anhängig (2 BvR 1711/15 und 2 BvR 2671/14).

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